
600 Jahre jüdische Kultur und Geschichte
Für aktives Erinnern

Verlegung von „Stolpersteinen“ in Meimbressen 2025
Jeder Name steht für ein Schicksal
Nachfahren jüdischer Meimbresser nahmen an Stolpersteinverlegung teil
von Natascha Terjung
Meimbressen. Etwa 70 Menschen jüdischen Glaubens haben bis Anfang 1933 in Meimbressen gelebt. Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten wurden sie vertrieben, mussten ihre Geschäfte und ihr Zuhause aufgeben, flohen ins Ausland oder kamen in Konzentrationslagern um. Der Verein „Judaica in Meimbressen“ setzt sich dafür ein, dass die Erinnerung an die Schicksale dieser Menschen aufrechterhalten wird. Dafür hat der Verein erneut Stolpersteine in dem Caldener Ortsteil verlegt, diesmal waren auch Nachfahren jüdischer Familien dabei.
Einen Einblick in das Leben der Jüdinnen und Juden in Meimbressen gaben Schülerinnen und Schüler der der Heinrich-Grupe-Schule (HGS). Sie lasen an jedem neu verlegten Stolperstein eigens verfasste Texte über die Geschichte der Menschen vor und machten so deutlich, dass es vor allem die einzelnen Schicksale hinter den Namen auf den Stolpersteinen sind, die es gilt, nicht zu vergessen.
So war es nicht verwunderlich, dass vor allem die angereisten Nachfahren aus Israel, den USA und Großbritannien während des Rundgangs durch den Ort von der Emotionalität dieser Veranstaltung sichtlich berührt waren.
Häuser wurden zerstört
Vor dem Haus in der Straße Lindenberg wurde neben den vier bereits bestehenden Gedenksteinen noch ein fünfter für Bertha Goldwein verlegt. Bertha Goldwein und Samuel Goldwein lebten mit ihren drei Kindern Louis, Rosa und Amalie Mathilde in Meimbressen.
Als 1935 Samuel Goldwein starb, zog Bertha Goldwein zu ihrem Sohn Louis in das Haus am Lindenberg. Während der Novemberpogrome 1938 wurde das Zuhause der Familie fast vollständig zerstört. 1939 musste Bertha Goldwein ihr Haus verlassen und nach Kassel ziehen. Im September 1942 starb sie im Konzentrationslager Theresienstadt. Auch ihre Kinder starben in Konzentrationslagern – nur Bertha Goldweins Enkelin Marga überlebte und wanderte nach Israel aus.
Bracha Lahav, die Urenkelin von Bertha Goldwein, war mit ihrem Mann für die Verlegung der Stolpersteine aus Israel angereist und von dem Vortrag der Schülerinnen über ihre Vorfahrin sichtlich ergriffen. „Es war sehr aufregend und emotional, das zu hören und vor dem Haus zu stehen, in dem meine Mutter gelebt hat“, sagte sie im Gespräch mit unserer Zeitung.
Vieles von dem, was sie in Meimbressen über ihre Familie erfahren hatte, wusste sie bisher nicht. „Meine Mutter hat nie viel erzählt“, sagte Bracha Lahav. Zu schrecklich müssen ihre Erlebnisse gewesen sein. Auch am Gedenktag für die Opfer der Nazis in Israel habe ihre Mutter es nicht ertragen können, sich die Feierlichkeiten im Fernsehen anzuschauen.
Außer Frage steht für Bracha Lahav, dass so etwas nicht noch einmal passieren darf. Das wurde auch in den Vorträgen der Schüler immer wieder zum Ausdruck gebracht: „Es ist wichtig, dass wir solche Geschichten kennen, damit die Opfer nicht vergessen werden und damit wir sicherstellen, dass so etwas nie wieder passiert“, sagte eine Schülerin vor dem Haus am Lindenberg.
Doch nicht nur das Schicksal der Familie Goldwein zeigte, wie schwer das Leben nach der Machtergreifung der Nazis war. So wurde zum Beispiel über die Familie Levi und Mathilde Goldwein, die in einem Haus an der Nebelbeeke gewohnt hatten, berichtet, dass ihnen ihr Viehhandelsgeschäft und damit die Existenzgrundlage durch die Nazis entzogen wurde.
Menschen wurden verraten
Der gute Draht zu ihren Nachbarn riss jedoch nicht ab; Familie Sauer half den Goldweins in ihrer Notlage und warf ihnen zum Beispiel Brot und Butter durch ein Kellerloch. Das wurde jedoch verraten, und an der Haustür der Sauers prangte kurz danach ein Davidstern und die Worte „Judenknecht Sauer“.
Auch Salomon und Rosalie Loewenstein lebten bis zu ihrer Flucht in Meimbressen. Nachkommen ihrer fünf Kinder waren für die Stolpersteinverlegung teils aus Großbritannien und den USA angereist. So fanden sich Enkel und Urenkel ein, unter anderem auch Peter Loewenstein aus England, der mit Schülerinnen und Schülern der HGS bereits in der vergangenen Woche über Antisemitismus gesprochen hatte (wir berichteten).
Zum Abschluss kam die Gedenkveranstaltung am ehemaligen Standort der Synagoge und Schule in Meimbressen. Heinrich Neutze erzählte, dass die Synagoge während der Novemberpogrome geschändet worden war. Unter anderem wurden Thorarollen einfach in den Bach geworfen. An diesen geschichtsträchtigen Ort in Meimbressen war auch Rabbiner Shaul Nekrich aus Kassel gekommen und sang ein jüdisches Gebet.
Heinrich Neutze unterstrich während der Veranstaltung, dass sich der Judaica-Verein nicht nur für die Stolpersteinverlegung einsetze, sondern generell für die Erinnerung an die Jüdische Gemeinde in Meimbressen. Dass die Arbeit des Vereins für Meimbressen und auch darüber hinaus bedeutend ist, betonte Ortsvorsteher Friedhelm Dilcher: „Unrecht bleibt Unrecht! Es ist ganz wichtig, dass man das nicht vergisst.“
Veröffentlicht in der HNA-Hofgeismarer Allgemeine vom 2. Oktober 2025; engl. transl.
Die biographischen Texte, die von den Schülerinnen und Schülern der Heinrich-Grupe-Schule Grebenstein verlesen wurden, finden Sie hier.