600 Jahre jüdische Kultur und Geschichte
Für aktives Erinnern
Besuch von Lea und Eli Raps aus Ramat Gan 2024
Spurensuche mit bewegenden Momenten.
Israelin zu Besuch beim Verein „Judaica in Meimbressen e.V.“
von Dorina Binienda-Beer
Meimbressen. Viele Jahrzehnte wanderten die Gedanken der Israelin Lea Raps immer mal wieder zu diesem ihr unbekannten Dorf in Nordhessen: Meimbressen, Ort glücklicher Jugenderinnerungen ihres Vaters. Willy Löwenstein, der bereits 1934 nach Erez-Israel emigriert war, hatte seinen beiden Töchtern Rachel und Lea oft und lebendig von seiner Zeit dort erzählt. 35 Jahre nach dem Tod des Vaters kam Lea Raps, begleitet von Ehemann Eli, jetzt erstmals selbst zu Besuch in den heutigen Caldener Ortsteil.
Im Vorfeld hatte es schriftlichen Kontakt zwischen der in Kassels Partnerstadt Ramat Gan (direkt angrenzend an Tel Aviv) lebenden Israelin und Dr. Michael Dorhs vom Verein Judaica in Meimbressen e.V. gegeben. Es wurde eine Begegnung im Rahmen einer kurzen Deutschlandreise des Ehepaars vereinbart. Im Mittelpunkt des vierstündigen Besuchs stand eine Dorfbegehung zu all den Örtlichkeiten, die Willy Löwenstein ans Herz gewachsen waren und die er mit etlichen Fotos dokumentiert hatte. Dieses von seiner Tochter mitgebrachte Fotoalbum aus der Zeit zwischen 1925 und 1933 wertet der Judaica-Verein als äußerst wertvolles Zeitzeugnis. Eine Vielzahl von Bildreproduktionen sind deshalb angefertigt worden. Die Aufnahmen dokumentieren etwa das gesellige Leben junger Meimbresser jüdischen Glaubens in jener Zeit und zeigen zudem heute so nicht mehr existierende Gebäudeansichten, darunter das Lebensmittel-, Ofen- und Eisenwarengeschäft von Samuel Frankenberg sowie das dazugehörige Warenlager in einer noch heute vorhandenen Scheune. Unter der Führung des Vereinsvorsitzenden Heinrich Neutze und in Begleitung der beiden Vorstandsmitglieder Beate Lehmann und Dorina Binienda-Beer gingen Lea Raps und ihr Mann auf Spurensuche – mit berührenden Momenten. Anlaufpunkte beim Dorfrundgang waren auch der Gedenkstein am Standort der abgerissenen Meimbresser Synagoge und der jüdische Friedhof.
Die Jahre in Meimbressen blieben Willy Löwenstein seinen Erzählungen zufolge unvergessen. 1910 in Gießen geboren, war er elternlos aufgewachsen. Unterkunft fand er im Waisenhaus in der Stadt Diez, das er aber im Alter von 14/15 Jahren verlassen musste. Bei der jüdischen Familie Frankenberg in Meimbressen, eventuell entfernte Verwandtschaft, fand er nicht nur Unterkunft, sondern auch Arbeit in deren Geschäft. Unter dem Eindruck der judenfeindlichen Politik der Nazis reifte in dem jungen Mann der Entschluss, nach Erez-Israel zu emigrieren. 1933 zog er nach Naumburg, um sich bei einem katholischen Bauern und Gastwirt landwirtschaftlich ausbilden zu lassen. So wie es seinerzeit für die Einwanderung nach Erez-Israel obligatorisch war (diese Vorbereitung hieß Hachschara). In der neuen Heimat heiratete Willy Löwenstein seine Frau Selma, geb. Haber, die er in Kassel kennengelernt hatte, und übte den Malerberuf aus. Er starb am 8. Februar 1989 in der israelischen Stadt Pardes-Channah.
Lea und Eli Raps wollen Meimbressen nach Möglichkeit noch einmal und dann länger besuchen, wie sie nach einem gemeinsamen Mittagessen im Hause Neutze beim Abschied erklärten.
Neben der Erinnerungsarbeit bemüht sich der Verein „Judaica in Meimbressen e.V.“ auch um die Aufnahme und die Pflege von Kontakten zu Nachfahren ehemaliger jüdischer Bürger Meimbressens. Der Verein führt damit eine Tradition fort, die einst Dr. Eberhard Wolff von Gudenberg mitbegründet hatte. Namen, Lebenswege, Schicksale - nach jahrzehntelanger Forschung zur regionalen jüdischen Geschichte bringt der stellvertretende Vereinsvorsitzende Dr. Michael Dorhs hierzu sein profundes Hintergrundwissen ein. Seit 2023 macht die vereinseigene Homepage die Ergebnisse dieser Arbeit für die interessierte Öffentlichkeit zugänglich.